Boris Palmer über Zuwanderung "Wir können nicht dauerhaft Politik gegen zwei Drittel der Bevölkerung machen" Über Deutschlands Asylpolitik wird aktuell wieder hitzig diskutiert. Nun hat Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer einen langen Beitrag auf Facebook veröffentlicht. Er sagt: "Wir sind am selben Punkt wie im Herbst 2015." Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) hat sich auf Facebook in einem langen Beitrag zur Flüchtlingssituation in Deutschland geäußert: Wer sich unter Bürgermeistern und Landräten umhöre, ernte Kopfschütteln.

Jan-Philipp Strobel/dpa
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.

Montag, 25.09.2023, 08:55

Der ehemalige Grünen-Politiker erklärt, für wie ernst er die Lage hält. Palmer ist überzeugt: "Man kann nicht dauerhaft Politik gegen zwei Drittel der Bevölkerung machen." Lesen Sie hier den gesamten Text, den der OB auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht hat:

"Man kann nicht dauerhaft Politik gegen zwei Drittel der Bevölkerung machen"

"Wir sind wieder am selben Punkt wie im Herbst 2015. Wer mit Bürgermeistern und Landräten spricht, erlebt überall nur noch Kopfschütteln. Ich kenne niemand mehr, der vor Ort Verantwortung trägt, und die ungesteuerte Zuwanderung für richtig und die Folgen für die Kommunen für tragbar hält.

OB Richard Arnold und Alt-Bundespräsident Gauck haben es im ZDF und im Spiegel in aller Klarheit gesagt: Die Zuwanderung muss wirksam begrenzt und gesteuert werden.

Allein die Tatsache, dass nun auch die Leitmedien bereit sind, das zu veröffentlichen, ohne es durch moralisierende Durchhalteappelle oder diskreditierende Anmerkungen sofort zurückzuweisen, zeigt mir sehr deutlich, was die Stunde geschlagen hat.

Auch den härtesten Verteidigern offener Grenzen dämmert langsam, dass man nicht dauerhaft gegen zwei Drittel der eigenen Bevölkerung Politik machen kann. Natürlich kann man auch weiterhin 300.000 Migranten oder mehr pro Jahr aufnehmen. Man muss dann nur der Bevölkerung sagen, was das bedeutet: Im Wohnungsbau besteht keine Chance, mit dem Bedarf Schritt zuhalten.

"Für Menschen mit kleinem Geldbeutel bleibt nichts übrig"

Bezahlbarer Wohnraum wird vorab an Migranten vergeben, für Menschen mit kleinem Geldbeutel, die dafür hart arbeiten, bleibt nichts übrig. Zeltstädte, Containerdörfer und belegte Turnhallen werden auch für die Migranten bald nicht mehr zu vermeiden sein. In den Kitas gibt es keine freien Plätze und kein Personal.

Solange Kinder von Migranten den gleichen Rechtsanspruch wie alle anderen auf Betreuung haben, heißt das: Langes Warten für viele berufstätige Eltern auf einen Platz und verkürzte Öffnungszeiten. In den Schulen steigt der Anteil der Kinder, die kein Deutsch sprechen stark an. Dafür sinkt das Leistungsniveau immer weiter ab.

Die Zahl der Abgänger ohne Abschluss hat sich in einem Jahrzehnt in BW fast verdoppelt. Je mehr Migrantenkinder in die Schulen kommen, um so weiter steigt die Überforderung, weil qualifiziertes Personal zur Förderung all dieser Sonderbedarfe nicht mehr zu finden ist.

In der Jugendhilfe verursachen die unbegleiteten Minderjährigen enorme Kosten, ein "Systemsprenger" bis zu 50.000 Euro im Monat, der Stellenbedarf wächst gigantisch, auch hier kein Personal mehr zu finden. Aus traumatisierten jungen Männern werden ohne engmaschige Betreuung allzuoft Gewalttäter. Der Staat kann die Menschen davor nicht mehr schützen.

"Wer es zu uns schafft, hat ein besseres Leben"

Tödliche Messerattacken nehmen zu. In den Haushalten der Kommunen sind tiefe Löcher absehbar. Die Kosten für Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten werden nach offiziellen Angaben 30 Milliarden Euro im Jahr 2023 erreichen. Die Kreisumlagen stehen vor einem dramatischen Sprung nach oben. In der Vergangenheit konnten alle Leistungen für Migration aus Überschüssen finanziert werden.

Das ist vorbei, wir stehen vor tiefen Einschnitten in kommunale Leistungen, die alle spüren werden, nicht aber die Migranten, weil deren Ansprüche bundesrechtlich fixiert sind. Es lässt sich gut argumentieren, dass das alles geringfügige Einschränkungen sind, im Vergleich zur Lebenslage der Menschen, die bei uns Asyl beantragen.

Der Großteil der Welt ist sehr viel ärmer als Deutschland. Wer es zu uns schafft, hat ein besseres Leben. Man kann also die bisherige Politik fortsetzen, aber man muss dann auch über die Folgen sprechen und mit den Konsequenzen leben. Ich bekenne offen: Ich bin nicht dazu bereit, diese Folgen zu tragen.

Ich befürchte, dass sie unser Land so weit destabilisieren und in eine Abwärtsspirale zwingen würden, dass wir ohnehin keine Hilfe mehr leisten würden. Ich teile die Auffassung von Joachim Gauck, dass eine Begrenzung der Zuwanderung nicht verwerflich und politisch geboten ist. Ich will zurück zum Wortlaut des Grundgesetzes. Wer politisch verfolgt ist, genießt Asyl.

"Diese Gleichung können wir beeinflussen"

Wer über einen sicheren Drittstaat einreist, hat kein Anrecht auf Schutz in Deutschland. So steht es dort. Darüber hinaus können wir direkte Hilfe durch großzügige Kontingente für die Länder und Menschengruppen definieren, die Hilfe am dringendsten brauchen. Wir können nicht allen helfen.Und wie man das realpolitisch erreichen kann?

Die Mittelmeerroute wäre ganz schnell geschlossen, wenn die Marine alle Flüchtlinge rettet, so das dort niemand mehr ertrinkt, und wieder nach Afrika zurück bringt. Dort könnte Europa eine offene Unterbringung aufbauen, in der man ernährt wird und jederzeit die Heimreise ins Herkunftsland antreten darf, sich also völlig frei bewegen kann.

Wenn Deutschland selbst handeln muss, weil Europa sich nicht einig wird, dann kann für alle Geflüchteten, die nicht anerkannt sind, das Sachleistungsprinzip eingeführt werden. Nur noch wenige Euro Taschengeld, Verpflegung, Kleidung und Unterkunft nur noch in von den Ländern betriebenen Einrichtungen ausreichender Größe.

Das würde sofort auf alle wirken, die ohne Aussicht auf Anerkennung den Aufenthalt in Deutschland erreichen wollen. Es ist nicht wahr, dass Europa und Deutschland gar nicht in der Lage sind, die Kontrolle über die Lage zurück gewinnen.

Die Menschen machen sich auch nicht "einfach auf den Weg", sondern sie wägen nüchtern ab, welches Risiko sie eingehen und welche Chancen sie haben. Diese Gleichung können wir beeinflussen. Und ich meine, wir müssen das nun auch tun."

Länder und Kommunen senden Warnungen

Aus Ländern und Kommunen waren zuletzt zunehmend dramatische Warnungen vor einer Überlastung gekommen.

Bis Ende August registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über 204.000 Erstanträge auf Asyl - ein Plus von 77 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Außerdem kommt noch hinzu, dass infolge des russischen Angriffskriegs mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland Schutz suchten, die keinen Asylantrag stellen müssen.


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